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Die Vorstellung einer nicht von politischen und
ideologischen Erwägungen vereinnahmten Wissenschaft erweist sich nach
wie vor als naiv. Für westliche Hegemonialmächte bedeutete die
Vorherrschaft der englischen Sprache auch in diesem Bereich die
Diskurshoheit.
Englisch ist die Sprache der Wissenschaft. Wer der Fachwelt seine Forschungsergebnisse präsentieren möchte, der muss ein wissenschaftliches Papier in einem der großen Fachjournale wie Nature oder Science unterbringen. Ob Astrophysiker, Mathematiker, Evolutionsbiologe oder Informationstheoretiker: Wenn es am Englischen hapert, wird aus der Veröffentlichung nichts.
Auch auf dem internationalen Parkett der Diplomatie ist Englisch heutzutage längst die vorherrschende Verkehrssprache. Internationale Verträge und Handelsabkommen liegen zuerst in einer englischsprachigen Standardausfertigung vor. Die Texte werden, wenn überhaupt, erst nachträglich in die Landessprachen der beteiligten Staaten übersetzt.
Dass man in der Politik vergeblich nach der einen objektiven Wahrheit sucht, ist allseits bekannt. In der politischen Arena tobt ein Informationskrieg, aus dem der gewieftere Meinungsmacher als Sieger hervorgeht. Die Informationshoheit lässt sich dabei umso eher erringen, je größer die Reichweite der eigenen Kommunikationsmittel ist.
Der Rang des Englischen als Weltsprache bedeutet für die englischsprachigen Staaten einen kaum zu überschätzenden Vorteil bei der Verbreitung ihrer Botschaft. Sprachhoheit ist Informationshoheit.
Zu viele russische Wissenschaftler im Westen unbekannt
Der Satz des Pythagoras – a² + b² = c² – leuchtet ein, ohne dass man dafür Altgriechisch können müsste. Ob Max Planck nun auf Französisch oder auf Deutsch oder auf Englisch geschrieben hat, ändert nichts an der Gültigkeit des von ihm aufgestellten Strahlungsgesetzes. Und der Teilchenbeschleuniger am CERN in der Schweiz funktioniert, weil ein internationales Forscherteam gemeinsam eine Maschine konstruiert hat, die auf allgemeinen physikalischen Prinzipien beruht.
Namen wie Newton, Darwin oder Edison sind jedem ein Begriff. Der Olymp bedeutender Naturwissenschaftler und berühmter Technikpioniere gleicht einem angloamerikanischen Stelldichein. Die Namen dieser illustren Persönlichkeiten nicht zu kennen, dürfte einem schnell als unverzeihliche Bildungslücke angekreidet werden. Aber würde man auch demjenigen einen Mangel an Allgemeinbildung vorwerfen, dem Namen wie Lomonossow, Popow und Florenski nichts sagen?
Viele russische Erfinder und Naturwissenschaftler sind im Westen weitgehend unbekannt. In der Ruhmeshalle der Wissenschaften fristen russische Genies ein Schattendasein. Der Weltruhm bleibt angelsächsischen und amerikanischen Geistesgrößen vorbehalten. Mit den Namen der großen russischen Naturforscher und Tüftler geraten auch deren Ideen in Vergessenheit. Sorgt das Sprachmonopol des Englischen in der Wissenschaftswelt etwa auch dafür, dass wichtige Impulse aus Russland keinen Eingang in den internationalen wissenschaftlichen Dialog finden?
Wissenschaft wird spätestens dann zum Politikum, wenn das Lebenswerk von eminenten Wissenschaftlern infolge einer aufgeheizten weltpolitischen Stimmung zu einer Randnotiz der Ideengeschichte verkommt – bloß weil der betreffende Wissenschaftler aus einem Land stammt, das die Wortführer eines transatlantischen Bündnisses zum Hauptfeind erklären.
Verknappungstheorien als Rechtfertigung imperialer Machtpolitik
Unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Unparteilichkeit werden die Koryphäen der Wissenschaft zu Stichwortgebern, um das politische Machtstreben ihrer Gönner rechtfertigen zu können. Bestes Beispiel für die Politisierung naturwissenschaftlichen Denkens ist die Art und Weise, wie das Britische Empire die Darwin'sche Evolutionstheorie vereinnahmt hat, um seine imperialistische Expansionspolitik zu legitimieren.
Der Begriff des Sozialdarwinismus steht für die Übertragung des biologischen Konkurrenzgedankens auf den Machtkampf zwischen Nationen und Völkern. Der weiße Mann mit der Flinte in der Hand handelt im Einklang mit der natürlichen Ordnung, wenn er die Speere schmeißenden Wilden niederschießt. So will es das Prinzip des Überlebens des Stärkeren.
Die britischen Kolonialherren hatten in Darwins Werk Die Entstehung der Arten einen weltanschaulichen Blankoscheck in eigener Sache erkannt.
Die vermeintliche Überlegenheit der eigenen Zivilisation berechtigte dazu, so genannte primitive Völker zu unterwerfen.
Nun mögen glühende Verehrer Darwins zur Ehrenrettung ihres Idols heraneilen und anführen, der Sozialdarwinismus stelle eine unzulässige Ideologisierung des für sich genommen völlig unbedenklichen Evolutionsgedankens dar. Doch besteht das geistesgeschichtliche Erbe Darwins gerade darin, dass sich seit seinem Postulat der Abstammung des Menschen vom Affen die naturgesetzlich-biologische Sphäre nicht mehr trennscharf von der sozial-menschlichen Umwelt unterscheiden lässt.
Der russische Universalgelehrte, der sich auch als Geograf bei der Erforschung Sibiriens verdient gemacht hat, hält der Darwinschen Konzeption vom Kampf ums Dasein die Beobachtung entgegen, dass in der Natur nicht nur konkurrierendes, sondern eben auch kooperatives Verhalten anzutreffen sei.
Kooperation als treibende Kraft des Fortschritts
In der Einöde der eurasischen Eiswüsten sah Kropotkin mit eigenen Augen, wie die unerbittlichen Naturgewalten, vor allem Kälte und Frost, in Landstrichen so groß wie Deutschland die dort hausende Tierwelt nahezu auslöschten. Darwin – inspiriert von seinem Landsmann, dem Ökonomen Thomas Robert Malthus – betrachtete die Bedrohung durch Überbevölkerung als Auslöser von Artenbildung innerhalb einer Population.
Für Kropotkin hingegen war offensichtlich, dass Organismen derselben Spezies sich unter widrigen Umweltbedingungen dazu gezwungen sehen, zusammenzuarbeiten, anstatt sich gegenseitig zu bekämpfen. Nicht die Ressourcenknappheit infolge von Überbevölkerung, sondern den umweltbedingten Zwang zur Kooperation sah Kropotkin als die eigentliche Triebfeder des Evolutionsgeschehens an.
Während Darwins Ansichten heute in vielerlei Hinsicht als überholt gelten, widerfuhr etwa dem russischen Biologen Konstantin Mereschkowski in den 1960er Jahren durch mikrobiologische Befunde der amerikanischen Wissenschaftlerin Lynn Margulis endlich Gerechtigkeit.
Laut Mereschkowskis Theorie der so genannten Symbiogenese handelt es sich schon bei der eukaryotischen Zelle, dem biologischen Grundbaustein höherer Organismen, um einen ehemaligen Zweckverbund von Kleinstlebewesen, die schließlich miteinander verschmolzen sind.
Mit dieser Einsicht war Mereschkowski seiner Zunft um Jahrzehnte voraus.
Auch das Zusammenspiel des menschlichen Körpers mit einer Vielzahl von Mikroorganismen, ohne die dieser nicht überleben könnte, läuft einer herkömmlichen Deutung der Evolution als Kampf ums Dasein zuwider.
Phänomene wie Schwarmintelligenz fallen ebenfalls völlig aus darwinistischen Erklärungsmustern heraus.
Leider haben sozialdarwinistische Gedankenkonstrukte immer noch Hochkonjunktur. Der US-amerikanische Politologe William S. Huntington beschwört einen Kampf der Kulturen herauf.
Bill Gates und andere milliardenschwere "Wohltäter" machen sich Sorgen um eine angebliche weltweite Überbevölkerung.
Russland setzt indes auf ein multipolares Miteinander. So richtig lassen sich Wissenschaft und Politik anscheinend doch nicht auseinanderhalten.
Es wird Zeit, auch den Rest der Welt an den wertvollen Erkenntnissen vergessener russischer Wissenschaftler wie Kropotkin teilhaben zu lassen.
Quelle und Dank an: Danilo Flores Martinez/https://deutsch.rt.com
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