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Freitag, 22. Oktober 2010

Bauern in Kenia betreiben eine selbstbestimmte Landwirtschaft

Heather Day & Travis English

Übersetzt von  Susanne Schuster


Durch Tausende von Graswurzelinitiativen von Afrikanern werden lokal verankerte Alternativen zu der von der Gates Foundation und Monsanto propagierten, durch hohen Chemieeinsatz charakterisierten Landwirtschaft geschaffen.

Wir waren gerade bei den Bauern, die an den üppig begrünten, steilen Hügeln nördlich der Stadt Thika im zentralen Hochland Kenias Landwirtschaft betrieben. Unser Führer und Gastgeber Samuel Nderitu wollte uns noch ein weiteres Projekt zeigen: die Frauengruppe Tumaini. Sie kamen zusammen, um die erste Saatgutbank in ihrer Gemeinschaft zu gründen.

Wir befanden uns nun in einer Gegend, die seit sechs Jahren unter Dürre leidet und in der ein hoher Prozentsatz der Leute mit HIV bzw. AIDS lebt, was den Kampf gegen den Hunger in der Gegend noch schwieriger macht.

Samuel bog von der Hauptstraße ab und fuhr eine flache, staubige Straße entlang. In der Ferne sahen wir eine Baumgruppe. Als wir näher kamen, konnten wir Musik hören, und dann wir sahen mehr als zwanzig ältere, bunt gekleidete Frauen singend und tanzend aus dem Schatten herauskommen; das Lied hatten sie extra für unseren Besuch komponiert. Sie führten uns zu einem Baum und baten uns, hinzusitzen, während sie ihre Geschichte erzählten.

Die Tumaini-Frauen erklärten, dass sie – wie die die meisten Bauern in dieser Gegend – den Rat von Außenstehenden (hauptsächlich große ausländische NGO) befolgten. Man hatte ihnen gesagt, dass die Erträge steigen würden, wenn sie spezielles Saatgut kauften, statt ihr eigenes Saatgut zu verwenden, und beim Anbau chemische Mittel einsetzten. Doch die Frauen sahen bald die langfristigen Folgen dieser Anbaumethoden. Nach dem Ende der Regenzeit waren die Erträge nicht so gut und die Schulden häuften sich an. Der Boden war nach jahrelangem Chemieinsatz ausgelaugt und besaß keine Feuchte mehr, außerdem war nicht genügend Wasser vorhanden, um die Chemikalien aufzulösen. Die Erträge sanken und die Bauern konnten sich die Betriebsmittel – chemische Dünger, gentechnisch verändertes Saatgut und Pestizide –, die sie für die Landwirtschaft unabdingbar hielten, nicht mehr leisten. Die Bauern verarmten und hungerten.

Unterstützt von Samuel und seiner Frau Peris lehnen die Tumaini-Frauen die Methoden, die ihnen gezeigt wurden, nun ab und lernen stattdessen sowohl neue als auch traditionelle Anbauechniken. Damit werden Methoden, die von Chemieinsatz und teurem Saatgut abhängen, durch Praktiken ersetzt, die im ökologischen Landbau und lokalem Wissen verwurzelt sind. Damit lehnen sie auch das neueste Programm des globalen Nordens zur Bekämpfung von Hunger und Armut in Afrika – die sogennante “neue grüne Revolution in Afrika” – ab. 

Die neue grüne Revolution gleicht viel zu sehr der alten

Die Bill and Melinda Gates und die Rockefeller Foundations stellten 2006 die in Nairobi, Kenia ansässige Allianz für eine grüne Revolution in Afrika (AGRA) vor. Ihr Ziel ist es, Armut und Hunger in Afrika durch eine verbesserte Nahrungsmittelproduktion zu bekämpfen. Ähnlich wie bei der ersten grünen Revolution, von der Bauern in ganz Indien und Lateinamerika immer noch geplagt werden, besteht ihr Auftrag darin, die Erträge durch eine höhere Menge an chemischen Düngern, Unkrautvernichtungsmitteln und von hohem Chemieinsatz abhängigen ertragreichen Saatgutsorten zu steigern. Außerdem wird der Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut und die Beteiligung von Giganten der Agrarindustrie wie Monsanto – im US-Justizministerium läuft derzeit ein Verfahren gegen das Unternehmen wegen monopolistischen Verhaltensweisen auf dem US-Saatgutmarkt – auf aggressive Weise vorangetrieben.

Bei vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Kenia ist die Wut auf die Pläne von AGRA groß und sie fragen sich, warum sie bei der Entscheidung, was für Afrikaner das Beste ist, nicht involviert waren. Josphat Ngonyo, Direktor des Africa Network für Animal Welfare und Mitglied der Kenya Biodiversity Coalition, bemerkte: “AGRA hat die Menschen in Afrika nicht miteinbezogen. Es war eine Idee, die Afrika aufgedrängt wurde, aber das funktioniert nicht. Wenn Afrikaner nicht miteinbezogen werden, dann geht es offensichtlich nicht um uns.” Ngonyo, sowie viele andere Organisatoren und Bauern, stellen oft eine grundlegende Frage, die die Stiftung bisher noch nicht beantwortet hat: Warum sollen genau die gleichen Anbautechniken verbreitet werden, die unseren Bauern Armut und Hunger gebracht haben?

Die größte Sorge vieler Bauern ist aber, die Kontrolle über ihr Saatgut zu verlieren. Die Geldgeber von AGRA haben sich mit Monsanto und anderen Saatgutfirmen zusammengetan, um kostenloses, patentiertes Saatgut an Bauern zu verteilen und die Bauern davon abzuhalten, ihr eigenes Saatgut zu gewinnen. Ngonyo erklärte dies: “Nun haben wir Saatgut von Monsanto, aber das biotechnologisch entwickelte Saatgut ist patentiert. Man kann es nicht wieder pflanzen. Man kann es nicht ernten und aufbewahren, um es wieder zu pflanzen. Man ist vollkommen von Monsanto abhängig.”

Ein anderer Weg: Ernährungssicherheit durch Ernährungssouveränität

Die neue grüne Revolution ignoriert aber Gruppen wie die Tumaini-Frauen: Tausende von Graswurzelinitiativen von Afrikanern, die wie die Programme von AGRA darauf ausgerichtet sind, die Nahrungsmittelproduktion zu steigern und eine Einkommensquelle zu schaffen, die aber im Gegensatz zu AGRA Methoden benutzen, die den Boden nähren, das Klima kühlen, Gemeinschaften aufbauen und die Bauern stärken. Wir kamen nach Kenia als Mitglieder der in Seattle ansässigen Kampagne AGRA Watch, um Beispiele dieser Arbeit mit eigenen Augen zu sehen.

Immer wieder diskutierten die Bauern, die wir trafen, über die Bedeutung der Kontrolle über ihre eigenen Nahrungsmittelquellen – die internationale Bauernbewegung La Via Campesina nennt dies “Ernährungssouveränität”.

Ernährungssouveränität wird in der “Erklärung von Nyéléni”, ein von einer Bauernversammlung in Mali im Jahr 2007 verfasstes Dokument, als das “Recht der Menschen auf gesunde und kulturell angemessene Lebensmittel, die mit ökologisch fundierten und nachhaltigen Methoden erzeugt wurden, und ihr Recht, ihre eigenen Nahrungsmittel- und Landwirtschaftssysteme zu bestimmen” definiert wird. Ernährungssouveränität erfordert die Demokratisierung unserer Lebensmittelsysteme, bei denen Menschen und nicht Großkonzerne die Kontrolle haben.

Florence ist die Führerin der Tumaini-Frauengruppe und die Veranstalterin des Seminars über Saatgutgewinnung, dem auch wir beiwohnten. Im Alter von 72 Jahren hat sie sich von der chemischen Landwirtschaft abgewandt und ihr Grundstück in einen Demonstrationsbetrieb verwandelt, von dem andere lernen können. Sie führte uns herum und zeigte uns voller Stolz ihren robusten Mais, eine von 30 Feldfrüchten, die sie anbaute.

Florence erklärte, die Tumaini-Frauengruppe bestehe aus 23 Witwen im Alter von 72 bis 102 Jahren, die zusammen für 73 Waisen sorgten. Die Frauen verloren ihre Ehemänner und viele ihrer Kinder aufgrund der AIDS-Epidemie und sie sind nun verantwortlich für die nächste Generation der Enkelkinder. Sie erklärten, wie wichtig es sei, die Kinder im eigenen Nahrungsmittelanbau mit nachhaltigen, lokal verwurzelten Methoden zu unterrichten: “Wir werden langsam alt und wenn die Waisen erwachsen werden, dann möchten wir, dass sie sich selbst versorgen können, daher bringen wir ihnen bei, wie sie sich durch Landwirtschaft und andere Unternehmungen selbst versorgen können.”

Florence bat Samuel Nderuti, unser Führer, sie und die anderen Mitglieder der Tumaini-Gruppe in einer alternativen Anbauweise in der Landwirtschaft zu unterrichten. Samuel und seine Frau Peris sind die Direktoren und Gründer von Grow BioIntensive Agricultural Centre of Kenya, oder GBIACK. Beide sind Absolventen des Manor House Agricultural Centre in Kitale, Kenia, das im Gegensatz zu vielen Landwirtschaftsschulen die Studenten in ökologischen Anbaumethoden unterrichtet und sie ensprechend ausrüstet, damit sie ganze Gemeinschaften auf eine unabhängige und sichere Nahrungsmittelversorgung umstellen können. Eine Kernkomponente dieses Ansatzes bildet sein Schwerpunkt auf Autarkie: die Bauern werden darin geschult, wie sie genügend Nahrung für sich selbst und ihre Familien unter Einsatz lokal verfügbarer und erschwinglicher Ressourcen anbauen können und dabei gleichzeitig ein Einkommen erhalten, das es ihnen ermöglicht, ihre Kinder in die Schule zu schicken und andere notwendige Anschaffungen zu bezahlen.

Peris und Samuel flüchteten vor der politischen Gewalt, die vor kurzem in Kenia ausgebrochen war, und entschieden sich, nach Thika umzusiedeln, wo der Kampf gegen die schwierigen Lebensbedingungen in der Gegend ihrer Auffassung nach am meisten Erfolg haben würde. GBIACK konzentriert sich darauf, mit den schwächsten Bevölkerungsschichten zusammenzuarbeiten: Witwen, Waisen, Arme, HIV-Positive und AIDS-Kranke. Zu ihrem wunderschönen Schulungszentrum gehören ein Demonstrationsbetrieb, eine Gemeinschaftsbücherei, eine Saatgutbank und ein Klassenzimmer. Sie schulen Bauern in der ökologischen Landwirtschaft, außerdem unterrichten sie Tierhaltung, Imkerei und Wassersparen. Desweitern haben sie eine Schneiderausbildung für Mädchen ins Leben gerufen, damit diese das notwendige Einkommen für den Schulbesuch verdienen können. All dies wird mit einem minimalen Budget verwirklicht.

Während der schlimmsten Periode in der Dürrezeit war die GBIACK-Farm einer der wenigen Betriebe in der Gegend, in der noch Nahrung produziert wurde. Für viele ist dies der Beweis, dass deren Methoden widerstandsfähiger sind als eine Anbauweise, die von Chemieeinsatz und “verbessertem” Saatgut abhängt. Samuel erklärte: “Um meinen armen, aufgrund ihres Mangels an Wissen darbenen Brüdern und Schwestern zu helfen, bringe ich ihnen das Fischen bei, damit sie für den Rest ihres Lebens fischen können. Wenn ich mein Wissen mit anderen teile, wird es vielen Menschen möglich sein, sich mittels ökologischer Anbaumethoden selbst zu ernähren.”

Das Hauptziel von GBACK ist es, in den Thika umgebenden Gemeinschaften Schulungen anzubieten. Meistens kommen die Bauern zu ihnen, nachdem sie die Resultate der Schulungen auf den Feldern der Nachbarn sehen. Um die Erfolgsquote der Schulungen zu steigern, arbeiten Peris und Samuel mit Bäuerinnen wie Florence, die in ihren Gemeinschaften eine Führungsrolle ausüben und andere in chemiefreien Anbaumethoden unterrichten. Auf diese Weise konnten sie Tausende Bauern in nur zwei Jahren seit der Projektgründung schulen.

“Wir wussten nicht, dass eine Landwirtschaft ohne so viel Kapitaleinsatz betrieben werden kann”, schrieb eine Bäuerin von der Lifwa Frauengruppe in Bikeke, Kenia in einem Brief an Kilili Self-Help, eine US-Gruppe, die Spenden für GBIACK sammelt. “Wir dachten immer, dass man ohne Kapital keine Landwirtschaft betreiben kann. Wir haben herausgefunden, dass wir unsere eigenen Dünger herstellen können und unser eigenes Saatgut gewinnen können.”

Autarkie beginnt mit dem Saatgut

Die beiden Gruppen sind überzeugt davon, dass die Saatgutgewinnung ein wesentlicher Teil einer unabhängigen Nahrungsmittelversorgung ist. “Gemeinschaftliche Saatgutbanken sind wichtig als eine Quelle gesunder und kräftiger Samen, um degenerierte und verlorene Samen zu ersetzen, um als Sammelpunkt für verschiedene Arten von Saatgut aus der Gemeinschaft und darüber hinaus zu dienen und um Bauern mit neuen Saatgutsorten von hoher Qualität zu versorgen”, erklärte uns Peris.

Samuel hingegen klagte: “Die von der Gates Foundation in Afrika vorangetriebenen Technologien sind nicht bauernfreundlich oder umweltfreundlich. Einige von ihnen sind nicht hinreichend getestet worden, um ihre Auswirkungen auf die Umwelt und Verbraucher zu bestimmen. Es muss noch mehr geforscht werden, bevor sie an Bauern oder für den kommerziellen Anbau freigegeben werden.”

Bauern aus der ganzen Welt, die meisten davon Frauen, bestehen auf ihr Recht auf Ernährungssouveränität – dabei steht Saatgut im Mittelpunkt dieses Kampfes. Do'a Zaied, eine mit La Via Campesina verbundene palästinensische Agrarwissenschaftlerin und Kämpferin für Ernährungssouveränität erklärte: “Ernährungssouveränität ist die unverzichtbare Voraussetzung für eine unabhängige Stimme und ein unabhängiges Denken; sie beginnt mit der Kontrolle über das eigene Saatgut.”

Florence betonte auch, wie wichtig Diversifizierung sei: der Anbau von einer Vielfalt von Feldfrüchten, die an die Region und ihre Kultur angepasst sind. “Die Bauern haben aufgrund von fremden Feldfrüchten, die hier eingeführt worden sind, die einheimischen Sorten vernachlässigt. GBIACK hat uns die Bedeutung der heimischen Feldfrüchte – Hirse, Cassava und Sorghum – gelehrt, sie sind nahrhaft und helfen dabei, die Ernährungssicherheit zu pflegen”, sagte sie. GBIACK hilft darüber hinaus Bauern, die mit HIV bzw. AIDS leben, Feldfrüchte anzubauen, die ihr Immunsystem stärken, wie beispielsweise Amaranth.

An dem Tag, an dem wir mit den Tumaini-Frauen unter den Bäumen saßen, war der Haupteil ihres Saatgutes fertig mit dem Trocknen und sie testeten die Keimfähigkeit jeder einzelnen Feldfruchtsorte. Die Frauen platzierten eine kleine Samenmenge von jeder Sorte auf einem feuchten Küchentuch in einer Petrischale. In der folgenden Woche sahen sie nach, wieviel von jeder Samensorte aufgekeimt war, damit wussten sie, ob sich diese Samen für die Aussaat eigneten. Jede Frau in der Gruppe hatte Samen von einer anderen Ernte aufbewahrt, dadurch wurde die Saatgutbank mit einer großen Samenvielfalt versorgt. Ihr kollektiver Einsatz resultierte in einer umfangreichen, widerstandsfähigen Saatgutsammlung, zu der jede Frau freien Zugang hat – das hat sie einen Schritt weiter in Richtung Ernährungssouveränität gebracht.


Quelle: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=2019

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