Auch (vielleicht sogar vor allem) in die Städte erhält die Natur wieder Einzug. Nachbarschafts- oder Community-Gärten erblühen seit ein paar Jahren in fast allen deutschen Großstädten. Sogar die Politik entdeckt und fördert das Phänomen mehr und mehr. In Dessau beispielsweise hat die Stadt Flächen frei gegeben, die die Bürger selbst gestalten können, und sieht in der "urbanen Landwirtschaft" die Zukunft der Stadt. Und das passiert nicht nur hier: der Trend ist weltweit in allen Industrieländern zu beobachten, Amerika vorneweg.
"Ackern mitten in der Stadt - in den USA gilt das Modell vielen inzwischen sogar als Anfang vom Ende der modernen Agrarwirtschaft. [...] der Ruck geht durch das ganze Land: Die auf regionale und saisonale Lebensmittel setzende Slow-Food-Bewegung will nicht nur Industriebrachen, sondern auch Schulhöfe quer durch die USA in "fruchtbare Landschaften" verwandeln. [...] In den USA sind die urbanen Felder gerade dabei, sich die Dächer zu erobern", schreibt der Spiegel in einem sehr schönen Artikel über den Berliner Prinzessinnen-Garten.
Wir erleben hier eine wahre Renaissance der Selbstversorgung, weltweit.
Neue Anbau-Methoden und Konzepte
All das ist nicht unbedingt neu, schließlich gibt es dergleichen in den USA schon seit den 70er Jahren. Jedoch entwickeln sich nun zunehmend neue Anbau-Methoden. "Das ist keine Rückkehr zu irgendwas, da entstehen ganz kreative neue Formen", meint auch Christa Müller, Vorsitzende der Stiftung Interkultur.Das hat zum einen praktische Gründe. Wegen der oft schlechten Böden in den Städten, aber auch um den Anbau mobil zu halten, müssen die modernen Gärtner sich neue Methoden erschließen, um auch inmitten von Asphalt und Beton an ihr Gemüse zu kommen. Erfolgreich: In Kisten und Säcken mit fruchtbarem Humus können Kartoffeln sogar auf dem Balkon angebaut werden. Und in den Prinzessinnen-Gärten werden mit Hilfe von transportablen Hochbeeten ungenutzte städtische Brachflächen in kürzester Zeit in einen ökologische Nutzgarten verwandelt.
Und auch ganz neue Konzepte entwickeln sich. Im Berliner Bauerngarten zum Beispiel heißt es "Wir pflanzen - Sie ernten". Interessenten können dort einen Gemüsegarten der besonderen Art pachten - ein Komplett-Paket mit Rundumversorgung. Im Frühjahr übernehmen die Pächter ein vollständig vorbereitetes Gartenstück, in denen die Jungpflanzen bereits gesetzt sind und das Saatgut im Boden schlummert. Die 25 verschiedenen Gemüsesorten und zahlreichen Kräuter werden dann von den ersten zarten Keimblättern bis zur Ernte begleitet. Die Betreiber unterstützen beim Gärtnern mit Rat und Tat und stellen sogar das Werkzeug, so kann sich jeder auch ohne Vorwissen und mit geringstem Aufwand mit selbst angebautem Ökogemüse versorgen. Dank automatischer Bewässerung kann man so bei nur einer Stunde Arbeit pro Woche mit Taschen voller frischem Gemüse nach Hause fahren.
Guerilla Gardening
Die Rückeroberung der Stadt ist aber nicht nur Zeitvertreib, sondern für viele auch eine politische Aussage. Weltweit ergreifen immer mehr Menschen Initiative und schaffen sich selbst Freiräume. Ohne zu fragen entmüllen und verwandeln sie brachliegende Flächen, begrünen Straßen und legen in städtischen Parks in Eigenregie Gemüsebeete an.Leerstehende Flächen und ungepflegte Grünstreifen werden so quasi "besetzt" und kurzerhand in blühende Äcker verwandelt. Das passt oftmals den Stadtplanern nicht ins Konzept, die offenbar meinen, öffentliche Flächen - die eigentlich der Allgemeinheit gehören - dürften von nur nach Vorschrift genutzt werden. Immer wieder werden mühsam aufgebaute Projekte deshalb gewaltsam zerstört, wie zum Beispiel der Garten "Rosa Rose" in Berlin.
Guerilla Gardening, das wilde Gärtnern in der Stadt ist ein internationales Phänomen. Gemüseanbau ist hier auch ein Ausdruck politischen und sozialen Handelns. Ein guter Ansatzpunkt, Städte wieder mehr zu Gemeinschaften zu machen, denn etwas so existenzielles wie der Anbau von Nahrungsmitteln ist quasi der kleinste gemeinsame Nenner. Gemeinschafts- und Nachbarschaftsgärten, Interkulturelle Gärten oder das Guerilla Gardening dienen so nicht bloß der Gemüseversorgung, sie sind Orte der Kommunikation, der Rückbesinnung, der Selbstermächtigung und der Heilung.
"Menschen ohne Naturerfahrungen drohen seelisch zu verkümmern. Das Glück, das Menschen empfinden, wenn sie in Berührung mit Natur sind, ist Ausdruck davon, dass wir uns aufgehoben und getragen fühlen im Lebendigen in uns. So lässt sich die Kernthese einer neuen Richtung in den Lebenswissenschaften auf den Punkt bringen, die zu dem Ergebnis kommt, dass der Verlust der Natur - im Alltag der Stadt, aber auch der Verlust der Artenvielfalt - mehr bedeutet als eine klimatische Katastrophe. Der Biologe und Philosoph Andreas Weber warnt: 'Dem Menschen droht ein emotionaler Verlust, der die Grundstruktur seines Wesens angreift...'", schreibt Christa Müller in "Mind The Park".
Die Natur zurück in die Stadt zu bringen und diese wieder zu Orten des gemeinschaftlichen Lebens, der Selbstversorgung und der Begegnung zu machen, ist sicher eine der Herausforderungen unserer Zeit. Und eins ist sicher: mehr Spaß als hier macht die Revolution kaum irgendwo.
Mehr Infos
Prinzessinnen GärtenBauerngarten
Eine andere Welt ist pflanzbar
urbanacker.net
Quelle: http://www.sein.de/gesellschaft/nachhaltigkeit/2010/urbane-gaerten-und-urban-farming-erobern-die-staedte.html
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen