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Sonntag, 1. Dezember 2013

Das Wort zum SonnenTag_Nr.11

Die Lehren des Don Juan Matus (der Schamane), an Carlos Castaneda


der Schamane
Albert Thiess

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

             Der wissende Mensch

 

 "Kann jeder ein Wissender sein?" fragt Castaneda Don Juan.
"Nein nicht jeder", antwortet dieser.

"Was muß denn ein Mensch tun, um ein Wissender zu werden?"
"Er muß seine vier natürlichen Feinde herausfordern und besiegen. Ja ein Mensch kann sich nur dann wissend nennen, wenn er fähig ist, alle vier Feinde zu besiegen".

"Kann denn jeder, der diese Feinde schlägt, ein Wissender sein?"
"Jeder, der sie besiegt hat, wird ein Wissender".

"Aber gibt es nicht irgendwelche besonderen Bedingungen, die ein Mensch erfüllen muß, bevor er mit diesen Feinden kämpft?"
"Nein jeder kann versuchen ein Wissender zu werden; sehr wenigen gelingt es wirklich, aber das ist nur natürlich. Die Feinde, die ein Mensch der ein Wissender werden will auf dem Weg des Lebens trifft, sind wirklich schrecklich, die meisten Menschen unterliegen ihnen."

"Was für Feinde sind das, Don Juan?"
"Wenn ein Mensch anfängt zu lernen, ist er sich über seine Ziele nicht klar. Sein Vorsatz ist schlecht, seine Absicht wage. Er hofft auf Belohnungen, die nie eintreffen werden, denn er weiß nichts von den Härten des Lebens. Er beginnt langsam zu lernen - zuerst Schritt für Schritt, dann in größeren Sprüngen. Und bald sind seine Gedanken durcheinander. Was er lernt, ist nicht was er sich ausgemalt hat und so beginnt er sich zu ängstigen. Lernen ist niemals, was man erwartet hat. Jeder Schritt des Lebens ist eine neue Aufgabe, und das Erleben der Furcht nimmt erbarmungslos und unnachgiebig zu. Sein Vorsatz wird ein Schlachtfeld.



Und so ist er über seinen ersten Feind gestolpert: DIE FURCHT!
Ein schrecklicher Feind - tückisch und schwierig zu überwinden. Er bleibt an jeder Wegbiegung verborgen, lauernd, wartend. Und wenn der Mensch, erschrickt durch seine Anwesenheit, fortläuft, wird sein Feind seine Suche beendet haben."

"Was geschieht mit dem Menschen, wenn er aus Furcht davonläuft?"
"Nichts geschieht mit ihm, nur wird er niemals lernen. Er wird niemals ein Wissender werden. Er wird vielleicht ein Angeber oder ein harmloser ängstlicher Mensch; auf jeden Fall wird er ein geschlagener Mensch sein. Sein erster Feind wird seinem Verlangen ein Ende gesetzt haben."

"Und wie kann er die Furcht besiegen?"
"Die Antwort ist sehr einfach. Er darf nicht fortlaufen. Er muß seine Furcht besiegen, er muss ihr trotzen und den nächsten Schritt gehen und den nächsten und den nächsten. Er muß nur aus Furcht bestehen und das darf nicht aufhören. Das ist die Regel! Und ein Moment wird kommen, wo sein erster Feind zurückweicht. Der Mensch beginnt sich seiner selbst sicher zu sein. Sein Vorsatz wird stärker. Lernen ist nicht länger eine erschreckene Aufgabe. Wenn dieser glückliche Moment gekommen ist, kann der Mensch, ohne zögern sagen, daß er seinen ersten natürlichen Feind besiegt hat."

"Geschieht das plötzlich, oder allmählich?"
"Es geschieht allmählich, doch wird die Furcht plötzlich und schnell überwunden."

"Aber wird ein Mensch sich nicht wieder fürchten, wenn ihm etwas Neues geschieht?"
"Nein ein Mensch, der einmal die Furcht überwunden hat ist für den Rest seines Lebens frei von ihr, weil er anstatt der Furcht Klarheit gewonnen hat - eine Klarheit der Gedanken, die die Furcht auslöscht. Aber dann kennt ein Mensch seine Wünsche: er weiß sie zu befriedigen. Er kann die neuen Schritte des Lebens voraussehen, und alles ist von deutlicher Klarheit umgeben. Der Mensch fühlt, dass nichts verborgen ist. Und so hat er seinen zweiten Feind getroffen: DIE KLARHEIT!

Diese Klarheit der Gedanken, die so schwierig zu erlangen ist, vertreibt die Furcht, aber sie macht auch blind. Sie zwingt den Mensch, sich niemals selbst anzuzweifeln. Sie gibt ihm die Sicherheit, alles zu tun, was ihm gefällt, denn er sieht die Dinge klar. Und er ist mutig, denn er ist sicher und er schreckt vor nichts zurück, weil er sich eben sicher ist. Aber all das ist ein Fehler, es ist etwas unvollständiges. Wenn der Mensch dieser vorgetäuschten Macht nachgiebt, ist er von seinem zweiten Feind besiegt worden und wird mit dem Lernen spielen. Er wird eilen, wenn er geduldig sein soll, oder er wird geduldig sein, wenn er eilen sollte. Und er wird mit dem Lernen spielen, bis er endet, unfähig, noch irgendetwas zu lernen."

"Was wird aus dem Mensch, der so besiegt wird, Don Juan, stirbt er deswegen?"
"Nein, er stirbt nicht. Sein zweiter Feind hat ihn nur kaltgestellt bei dem Versuch ein Wissender zu werden. Statt dessen könnte aus ihm ein gleichgültiger Kämpfer werden oder ein Clown. Aber die Klarheit, für die er so teuer bezahlt hat, wird sich nie wieder in Dunkel oder Angst verwandeln. Er wird klar sehen, so lange er lebt, aber er wird auch nichts mehr lernen, oder nach irgendwas suchen."

"Was muß er tun, um nicht besiegt zu werden?"
"Er muß tun, was er mit der Furcht getan hat: er muss seiner Klarheit trotzen und nur mit ihr sehen und geduldig warten und vorsichtig abwägen, bevor er neue Schritte tut; er muss vor allem denken, dass seine Klarheit fast ein Fehler ist. Und ein Augenblick wird kommen, da er verstehen wird, dass seine Klarheit nur ein Punkt vor seinen Augen war. Und so wird er seinen zweiten Feind besiegt haben und er wird in eine Lage kommen, in der ihm nichts mehr schaden kann. Das wird sein Feind sein. Es wird nicht nur ein Punkt vor seinem Auge sein, es wird wahre Macht sein.

Zu diesem Zeitpunkt wird er wissen, dass die Macht, die er schon so lange gesucht hat, endlich die seine ist. Er kann mit ihr machen, was ihm gerade dazu einfällt. Er beherrscht seinen Verbündeten. Sein Wunsch ist Gesetz. Er sieht alles was um ihn herum ist. Aber er hat auch seinen dritten Feind getroffen: DIE MACHT!
Macht ist der stärkste aller Feinde. Und natürlich ist es das Einfachste, nachzugeben. Schließlich ist der Mensch unbesiegbar.
Er befiehlt, er beginnt berechnete Risiken einzugehen und macht Gesetze, denn er ist der Herrscher.

Ein Mensch auf dieser Stufe bemerkt kaum, wie der dritte Feind ihn einkreist. Und plötzlich wird er, ohne es zu merken, gewiss seinen Kampf verloren haben. Sein Feind wird ihn zu einem grausamen, unberechenbaren Menschen gemacht haben."

"Wird er seine Macht verlieren?"
"Nein, er wird niemals seine Klarheit oder seine Macht verlieren."

"Was wird ihn dann von einem Wissenden unterscheiden?"
"Ein Mensch, der von der Macht besiegt ist, stirbt, ohne wirklich gewusst zu haben, wie mit ihr umzugehen ist. Macht ist nur eine Last über sein Schicksal. Solch ein Mensch hat keine Gewalt über sich selbst und kann nicht entscheiden, wann oder wie er seine Macht anwenden soll."

"Ist eine Niederlage durch einen dieser Feinde eine endgültige Niederlage?"
"Natürlich ist sie endgültig. Wenn einer dieser Feinde einen Menschen zu Fall gebracht hat, gibt es nichts, was er noch tun kann."

"Ist es zum Beispiel möglich, dass ein Mensch, der von der Macht besiegt wurde, seinen Fehler einsieht und auf seinen Weg zurückkehrt?"
"Nein, wenn ein Mensch einmal nachgibt, ist er erledigt."

"Aber was geschieht, wenn er nur vorübergehend von der Macht geblendet wird und sie dann zurückweist?"
"Das bedeutet, dass sein Kampf noch weiter geht. Dass bedeutet, dass er immer noch versucht ein Wissender zu werden. Ein Mensch ist nur dann besiegt, wenn er nicht länger versucht und sich selbst aufgibt."

"Aber ist es dann nicht möglich, Don Juan, dass ein Mensch sich vielleicht jahrelang der Furcht ergibt, aber er sie schließlich besiegt?"
"Gewiss nicht. Wenn er sich der Furcht ergibt, wird er sie niemals besiegen, weil er das Lernen scheuen und es nie wieder versuchen wird. Aber wenn er inmitten seiner Furcht jahrelang zu lernen versucht, wird er sie eventuell besiegen, weil er sich ihr nie ergeben hat."

"Wie kann er seinen dritten Feind besiegen, Don Juan?"
"Er muss ihn vorsätzlich herausfordern. Er muss einsehen, dass die Macht, die er scheinbar gewonnen hat, niemals wirklich seine ist. Er muss sich jeder Zeit selber beherrschen, und alles, was er gelernt hat, vorsichtig und ehrlich gebrauchen. Wenn er sieht, dass Klarheit und Macht ohne Selbstbeherrschung schlimmer als Fehler sind, wird er einen Punkt erreichen, wo sich ihm alles fügt. Dann wird er wissen, wann und wie er seine Macht gebraucht. Und so wird er seinen dritten Feind besiegt haben. Der Mensch wird am Ende seiner Reise des Lebens sein, und unversehens wird er dem letztem seiner Feinde begegnen: Das Altern!

Dieser Feind wird der grausamste von allen sein, er ist der, den er nicht völlig schlagen kann, sondern nur bekämpfen. Das ist die Zeit, wenn ein Mensch keine Furcht und geduldige, klare Gedanken hat - das ist eine Zeit, da er seine Macht beherrscht, aber es ist auch die Zeit, da er ein unüberwindliches Verlangen nach Ruhe hat. Wenn er seinem Verlangen, auszuruhen und zu vergessen völlig nachgibt, wenn er sich selbst in Müdigkeit wiegt, wird er seine letzte Runde verloren haben und sein Feind wird ihn zu einem schwachen, alten Geschöpf niederstrecken. Sein Verlangen sich zurückzuziehen wird all die Klarheit, seine Macht und sein Wissen unterdrücken. Aber wenn der Mensch seine Müdigkeit abschüttelt und sein Schicksal zu Ende lebt, kann er ein Wissender genannt werden, wenn auch nur für kurze Zeit, soweit es ihm gelingt, seinen letzten unbesiegbaren Feind erfolgreich abzuschütteln. Diese Zeit der Klarheit, der Macht und des Wissens ist der grösste Lohn auf Erden."




 Quelle und Dank an:  www.rumoro.de

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