Ein selbstgebautes Haus aus Lehm und Stroh ist in Argentinien mehr als nur Behausung. Es geht auch um ein politisches Statement. Jorge Belanko ist in Argentinien so etwas wie der Lionel Messi des Lehmbaus.
Und er hat eine Botschaft: «Die Biokonstruktion steht in direktem Zusammenhang mit dem Recht auf ein Stück Land. Denn ohne Land keine Erde und ohne Erde keine Biokonstruktion.» Der gut 60-jährige Poliermeister zog in den 80er-Jahren mit seiner Familie nach El Bolsón (Patagonien), suchte sich dort ein Stück Land und baute darauf sein Haus – und all dies ohne Plan und Genehmigung. «Man drohte mir mit der Gendarmarie, mit der Polizei, mit einer Busse und auch mit dem Abriss des Hauses, doch ich wohne nach wie vor dort», erzählt er am ersten internationalen Kongress für Biokonstruktion in Mar del Plata.
Lehm – ein Baumaterial mit vielen Vorzügen
Lehm dient seit jahrtausenden als Baumaterial, egal ob in Afrika, Asien, Australien, Amerika oder Europa. Noch heute lebt rund ein Drittel der Menschen in Lehmhäusern, vorwiegend in Ländern des Südens. Dort ist Lehm angesichts der herrschenden Wohnungsnot und fehlenden Mitteln für den Kauf von industriealisierten Baumaterialen (Eisen, gebrannte Ziegel, Zement) unabdingbar. Doch auch in den Industriestaaten wird Lehm und Stroh für den Häuserbau wieder salonfähig, und dies gleich aus mehreren Gründen:
Der Energieverbrauch und die Kosten für Herstellung und Transport sind beim Bau eines Lehmhauses wesentlich geringer als beim Bau mit konventionellen Materialien. Hinzu kommen weitere Vorteile wie die Regulierung des Feuchtigkeitsaustausches zwischen Innen- und Aussenraum, geringere Heizkosten dank besserer Isolation, Abschirmung von hochfrequenten Strahlungen (etwa durch Handy-Antennen). Zudem entsteht beim Abriss eines Hauses kein Abfall, weil das Baumaterial wiederverwendet werden kann.
Leben in Harmonie mit der Natur
Das Recht auf ein Stück Land ist zentral für die Vorreiter der Biokonstruktion. Man spürte während des Kongresses, zu dem BesucherInnen aus ganz Argentinien, aus Uruguay, Chile und selbst aus Deutschland angereist waren, dass es hier nicht nur ums Bauen mit nachwachsenden Materialien ging, sondern auch um den Bau einer Lebensform in Harmonie mit der Natur.
Heute leben weltweit mehr als die Hälfte der Menschen in Städten oder stadtnahen Gebieten; in Lateinamerika sind es fast 80 Prozent. Das fortschreitende Landgrabbing ist dadurch schwierig zu erkennen. Dabei kaufen Firmen aus Industriestaaten ganze Landstriche in Entwicklungsländern, um Ressourcen und BewohnerInnen auszubeuten. Eine Form der Kolonisierung, die Menschen in Städten des 21. Jahrhunders, egal ob Zürich oder Buenos Aires, scheinbar nicht mitbekommen (wollen). Sie haben die Rohstoffgier der Industrie genauso akzeptiert wie den Ausverkauf der Erde.
Einschätzungen wie diese kamen nicht von den üblichen Globalisierungskritikern, sondern von Personen wie Jorge Czajkowski. Der Direktor des Laboratoriums für Architektur und nachhaltigen Wohnraum der Universität La Plata drückte sich unmissverständlich aus. «Was den Energieverbrauch betrifft, befindet sich unsere Konsumgesellschaft auf direktem Weg in den Suizid.»
Deutliche Worte wählte auch Architektin Isabel Donato, neben Belanko eine der Vorreiterinnen der Biokonstruktion in Argentinien: «Die Städte haben ihren Zweck erfüllt. Sie dienen höchstens noch als Museum», sagte sie und schloss mit dem Aufruf: «Verlasst die Städte!»
Bauboom treibt Bodenpreise in die Höhe
Doch wer die Stadt verlässt, braucht ein Stück Land. Und das ist teuer geworden in Argentinien, insbesondere an der nördlichen Atlantikküste, wo in den vergangenen Jahren unablässig gebaut wurde. 500 Quadratmeter Land kosten dort heute rund 40’000 Dollar. Ein Preis, der für die Mehrheit der ArgentinierInnen unerschwinglich ist. Zum Vergleich: Der argentinische Durschnittslohn liegt unter 1000 Dollar pro Monat und verliert angesichts der anhaltenden Inflation wöchentlich an Wert. An der Atlantikküste zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab wie an den Stadträndern von Buenos Aires, Rosario und Cordoba: Es wachsen nicht nur die Ghettos der Armen, sondern auch die der Reichen. In sogenannten barrios cerrados (geschlossene Viertel) schottet sich die argentinische Oberschicht ab. Neuerdings, und dies entbehrt nicht ganz der Ironie, sogar in Lehmhäusern. Denn diese gelten in diesen Kreisen als ein schickes Accessoire.
Jorge Belanko – gefeiert wie ein Popstar
Diese Entwicklung konnte Jorge Belanko nicht voraussehen, als er 2008 den Lehrfilm «El barro, las manos, la casa» (Der Lehm, die Hände, das Haus) drehte. Darin gibt der Humanist jenes Kulturgut weiter, das angesichts der Flucht vom Land in die Stadt und in die digitale Welt zunehmend verloren geht: der Bau des eigenen Hauses. Belankos Dokumentation, eine Anleitung zum Selberbauen, ist Ursprung für die aktuelle Lehmbau-Euphorie im Land.
Seither ist Belanko fast ununterbrochen unterwegs. Egal ob an Workshops in Mexiko oder Feuerland oder eben an Kongressen wie in Mar del Plata – er wird gefeiert wie ein Popstar. Sein Anliegen bezüglich Landbesitz geht jedoch im Enthusiasmus um die Wiederentdeckung des Baustoffs Erde und im Rummel um seine Person oftmals unter.
«Gesetze dienen der Industrie»
Belankos Forderung hat Gernot Minke am letzten Kongresstag indirekt aufgenommen. Er ist Leiter des Forschungslabors für Experimentelles Bauen an der Universität Kassel, Autor zahlreicher Bücher und weltweit Ansprechpartner im Lehmbau. Während der Diskussion zur staatliche Regulierung des Lehmbaus mahnte er zur Vorsicht: «Gesetze dienen meistens der Industrie und berücksichtigen nicht die Ideen von kleinen Firmen.» Der 77-Jährige bezog sich auf seine Erfahrungen aus Deutschland. Dort ist die Industrie längst Teil der Lehmbaukultur und staatliche Gesetze sind wichtiger als das universelle Recht auf ein Stück Land.
In Lateinamerika leben weniger Menschen auf mehr Raum, deshalb spielen Industrie und Staat eine andere Rolle als in Europa. Trotz Landgrabbing und Landflucht regiert nach wie vor der Spirit der autoconstrucción, des Selberbauens. Man baut mit lo que hay – also mit dem, was einem zu Verfügung steht. Ob mit oder ohne staatliche Regelung.
«Die Biokonstruktion ist ein Prolog», pflegt Jorge Belanko zu sagen. «Sie ist ein Prolog dafür, dass wir Menschen uns wieder zusammentun, und versuchen in Harmonie mit unserem Umfeld zu leben.»
Der Autor ist freier Journalist und Maurer im Lehmbau. Er lebt seit 2009 in Argentinien. Zuvor hatte er bei mehreren Printmedien in der Schweiz gearbeitet.
Quelle und Dank an: www.newslichter.de
Von Romano Paganini / zuerst am erschienen bei inforsperber.ch.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen