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Dienstag, 15. März 2016

Die Geschichte eines Permakulturhauses

Permakulturhaus Foto Harald Wenig oya
Permakulturhaus Foto Harald Wenig oya

Eine K.I.S.S.-Baugeschichte. von Harald Wedig. Schlicht, aber so ausgeklügelt, dass Sonne, Regen, Luft, Steine und Kompost als Hauptkomponenten für seinen Betrieb genügen: das Permakulturhaus. »Bau dir ein Haus!« – so kurz und bündig antworteten Margrit und Declan Kennedy im August 2007, als ich sie im Lebensgarten Steyerberg besuchte, auf meine Frage, was sie an meiner statt mit dem Verkaufserlös der Sualmana-Permakulturgärten in Holland tun würden.


Nach deren Verkauf war ich von den Niederlanden ins ­Nahetal – die linksrheinische Weinbauregion zwischen Hunsrück und Pfalz – gezogen. Ein Neubeginn. Über einen Hausbau hatte ich schon nachgedacht, tat mich aber schwer mit der folgenreichen Entscheidung. Der Rat meiner früheren Permakulturdesign-Tutoren, den sie mir angesichts der anrollenden Wirtschaftskrise gaben, brach die Keimhemmung der Idee. Ich begann ein Bauprojekt!

Seit Mitte der 1990er Jahre war ich als Strohballenbauer der ersten Stunde durch Europa getingelt, hatte an Hütten und Häusern gewerkelt. Erst durch diese Technik wurde ich zum Hausbauer; amerikanische Permakulturleute hatten mir den »Straw Bug«, die Stroh-Laus, in den Pelz gesetzt. Mein Immunsystem war nicht darauf vorbereitet gewesen – das Strohfieber hatte mich voll erwischt.




Damals arbeitete ich im Brotjob als handwerklicher Anleiter für junge Schulabbrecher. Wir entwarfen eine Art superiso­liertes Stroh-Gartenhaus – spannend für schulmüde Jugendliche. Es stand auf dem Gelände des Naturschutzbunds am Niederrhein als Beispiel für nachhaltige Gestaltung von Kleingärten. Zufällig hatte das Global Ecovillage Network mir gerade zu dieser Zeit den Auftrag erteilt, ein Beispiel für eine leicht zu errichtende Flüchtlingsunterkunft aus Strohballen zu bauen – etwas, das Menschen, die von Naturgewalten oder Krieg vertrieben worden waren, mit einfachen Mitteln selbst bauen konnten. Demonstrationsort war der Parc de Maelbeek in Brüssel zu Füßen des EU-Kommissariats, wo eine »Grüne Woche« stattfand, eine jährlich von der EU veranstaltete Nachhaltigkeitsmesse. Unser Häuschen kam überraschenderweise groß heraus.

Zehn Tage hatten wir für den Aufbau inklusive Lehmputz, Bodenisolierung und Folie für die Dachbegrünung benötigt.

Damals lernte ich von den Jugendlichen, dass Bauen uns alle anmacht. Nicht nur die Materialien, die so sinnlich und dabei so fehlertolerant sind: Lehm, Stroh und Holz – der Bauprozess an sich gab uns den Genuss gemeinsamer Erfolge und machte den Kids manchmal sogar deutlich, warum Wissen und Fähigkeiten doch hilfreich sein können. Es ging um unser gemeinsames Tun, um unsere Hütte, um die Vorstellung, im Winter einen warmen Platz zum Schlafen zu haben – eine freundliche Schutzhülle, die Wind, Regen und Frost draußen hält, während wir uns drinnen Geschichten erzählen. Ich begriff das Bauen als sozialen Prozess.

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Permakulturhaus Foto Harald Wedig oya

Selbst ein neues Haus bauen

Warum sollte ein Mensch heute neu bauen? Die Verwendung alter Bausubstanz macht energieeffizientes Bauen meist nicht einfacher, sondern schwieriger. Ein altes Haus auf den energetischen Stand eines schlichten Strohballenhauses zu bringen, ist eine hohe Kunst, wenn auch mit fachlicher Beratung möglich. Ich entschied mich dagegen, weil ich eine neue Struktur auf mich und meine Bedürfnisse sowie die meiner Mitwelt maßschneidern wollte. Allerdings ist Altsubstanz für einen Neubau selbstverständlich eine wahre Fundgrube der Materialgewinnung.

Wenn ich mit Strohballen baue, tue ich das nicht für die Ewigkeit. Ich setze mir kein Denkmal; der Bau soll behaglich und zweckmäßig sein. Stroh, Lehm und Holz sind leicht zu kompostieren, und so kann das Haus nach seinem Lebensende dem Boden dienen, der es getragen hat. Eine leichte, betonarme Bauweise vereinfacht diesen »Verdauungsprozess«. Der Gedanke an eine vorausgeplante Vergänglichkeit des Hauses, das ich mit viel Mühe und einigem Kapitaleinsatz aufgerichtet habe, fällt nicht leicht. Doch ich will nicht ein Haus durch die Zeit weitergeben, sondern die Fähigkeit, sich ein Ort und Lebensumständen angepasstes Zuhause zu schaffen!

Was soll mein Haus für mich tun können? Wieviel Haus brauche ich überhaupt? Was kann ich beim Bau selbst tun, wo können mir Freunde helfen, wofür brauche ich Spezialisten? Solche Fragen begleiteten mich bei der Suche nach einem geeigneten Standort. Ich begann, ein Bild zu skizzieren, wie der zukünftige Bauplatz aussehen sollte. Die anschließende Suche kostete mich ein halbes Jahr und ein paar neue Mäntel für meine Fahrradreifen. Das Ergebnis – der konkrete Bauplatz – überraschte mich. Er passte wenig zu meinem Selbstbild als Gärtner in einer Landidylle.

Die Tücke eines Permakultur-Designprozesses hatte zugeschlagen: Beobachtung und Selbstbefragung, eine ordentliche Analyse und die Bereitschaft, mich von einigen meiner Lieblingsideen zu trennen, hatten mich nicht auf die lauschige Waldlichtung, sondern in ein Biotop geführt, an dem ich bisher stark fremdelnd vorbeigefahren war: die Bauparzelle im Neubaugebiet am Dorfrand. Das Dorf übertraf meine Wunschliste bei weitem: Es gibt dort eine stabile ökosoziale Gemeinschaft, einige Künstler und Kulturveranstaltungen, einen innovativen Biolandhof und ein großes Landschaftsplanungsbüro, das ökologisch orientierte junge Leute in den Ort zieht, dazu ­einen guten Italiener. Insgesamt kommt es meinem optimistischen Motto »Jedes Dorf ein Ökodorf!« erfreulich nahe.

Seitdem wächst dort mein Haus wie eine dritte Haut. Um mich entsteht lustvoll und lebendig eine maßgeschneiderte symbiotische Struktur, die in vieler Hinsicht die Verlängerung und Erweiterung meiner eigenen Organe und Potenziale ist.

Einfachheit hat Vorrang

Den Shakern – einer christlichen Gemeinschaft, benannt nach ihrer Art des Betens in Bewegung – habe ich den Grundsatz der Schlichtheit entlehnt. Ich strebe nach Einfachheit beim Material, in der Formgebung und Gestaltung, im Bauprozess und – ganz wichtig für meine alten Tage – in der Instandhaltung. Das K.I.S.S.-Prinzip (»Keep it Simple, Sweetheart«) ist mein Wegweiser. Selbst wenn eine einfache Technik nur 60 bis 70 Prozent Wirksamkeit verspricht, ist sie für mich geeigneter als eine mit einem höheren Wirkungsgrad, für die ich Spezialkenntnisse, Fachleute und teure Ersatzteile benötige.

Ein gutes Beispiel hierfür ist meine Warmluft-Steinwärmespeicher-Heizung. Wasser ist eigentlich ein besserer Wärmespeicher als Stein und gleichzeitig ein gutes Transportmedium für Wärme. Doch dichte Wasserleitungen herzustellen, ist leider nicht meine Stärke, und selbst dichte Leitungen können einfrieren und platzen. Wasserhavarien will in einem Strohballenhaus niemand erleben.
Der Wasserspeicher muss druckfest sein, aus Metall, und er stammt aus dem industriellen Prozess, den ich nicht ohne Not unterstützen möchte. In meinem Fred-Feuerstein-Heizsystem ist der Steinwärmespeicher ebenso gemauert wie die Niedrigtemperatur-Heizkörper, die im Nebenberuf Sitzgelegenheiten sind.

Das Speichermedium bilden Schieferplatten aus dem Abbruch einer Hunsrücker Scheune – stattliche 8 Kubikmeter, was der Wärmespeicherkapazität von 2 Kubikmetern Wasser entspricht. Die Warmluft, die dem Speicher entweder vom Gewächshaus oder vom Ofen zugeführt wird, strömt durch Abwasserrohre. Selbst wenn es einmal lecken sollte, ist alles leicht zu reparieren.

Um den Flächenverbrauch zu minimieren, verwende ich eine dichte, gestapelte Gestaltung. Damit meine ich keinen Hochhausbau, kann mir aber prinzipiell durchaus viergeschoßige Gebäude vorstellen – bei einer altersgerechten Unterbringung der Generationen in solchen Häusern sind Aufzüge überflüssig. Meine Partnerin und ich gestehen uns in unserem neuen Haus immerhin stattliche 33 Quadratmeter Wohnfläche pro Person zu, auch um genügend Raum für Gäste zu haben.

Ein produktiver Ort

Nahrung zubereiten, arbeiten, feiern, schlafen, schließlich unsere körperlichen Produkte der Erde zurückgeben – viele dieser grundlegenden Lebenselemente basieren in unserer jetzigen Kultur auf weitläufigen, oft globalen Infrastrukturen, deren Unterhalt ungeheure Mengen an Ressourcen verschlingt. Unfassbares soziales Ungleichgewicht und Unrecht gegenüber unserer Mitwelt sind der Preis, den meist die anderen bzw. die gesamte Biosphäre für unsere umtriebige und zugleich nachlässige Lebensweise bezahlen. Deshalb scheint es mir essenziell, ein erneuertes Design zur Erfüllung unserer elementaren Bedürfnisse zu entwickeln; eines, das die Materialwege dramatisch verkürzt, das mit dem arbeitet, was uns direkt umgibt. Nirgendwo kann die Gestaltung unseres Lebensstils wirkungsvoller gelingen als an unserer dritten Haut.

Dazu trägt bei mir zum Beispiel ein Kompostklo bei, das in Verbindung mit einem Terra-Preta-Kompost und der Urinfermentation Nährstoffe im häuslichen Kreislauf hält und dem Boden durch Humusaufbau und gesteigertes Pflanzenwachstum zurückgibt.

Regenwasser wird konsequent zurückgehalten und genutzt, ebenso wie das bereits einmal im Haushalt verwendete Grauwasser. Letzteres kommt als düngendes Gießwasser den Pflanzen im Anlehngewächshaus und den intensiv genutzten Hochbeeten sowie der hauseigenen Kompostierung zugute.
Ein klassisches Beispiel für integrierte Selbstversorgung im Haus ist das Anlehn­gewächshaus vor unserer Südwand. Frisches Gemüse und Kräuter können wir dort bis in den Winter hinein ernten. Es besteht aus gebrauchten, aber einheitlichen doppeltverglasten Fensterflügeln. Außerdem ist das Gewächshaus das wichtigste Element unseres Heizsystems.

Für die Aufbewahrung von Lebensmitteln ist Kühlung wichtig. Einfache Systeme – ein Verdunstungskühlschrank, ein Schrank mit erdgekühltem Luftdurchfluss sowie ein Außenschrank auf dem Balkon für den Winter – ersetzen für mich den Kühlschrank und erfordern keine Elektrizität.
Im Untergeschoß sind Sommerküche und Waschküche, Werkstatt und ein Hühnerstall wichtige Elemente für die Selbstversorgung. Ich möchte erreichen, dass mich mein Grundstück von 500 Quadratmetern tatsächlich zur Hälfte ernähren kann. In diesem Zusammenhang ist neben Gewächshaus, Hochbeeten und der Fruchthecke im Garten auch der produktive Balkon zu nennen, der an die Küche anschließt.

Selbstverständlich erzeugt unser Haus mit seiner Photovoltaikanlage Strom: 7500 Kilowatt Jahresproduktion, obwohl wir selbst weniger als 500 Kilowatt pro Jahr verbrauchen – ein Beitrag zur Energiewende.

Das Haus als Lebensraum

Hausbau ist potenziell eine ökologische Strukturanreicherung. Wo zuvor oft »nur« eine Fläche lag, entsteht eine drei­dimensionale, hohle Struktur, die als Lebens­raum die Artenvielfalt vermehren kann: So sind etwa Grün­dächer ideale Trockenrasenstandorte. Das zweischalige Dach (Kaltdach) meines Hauses soll ein Ort für kulturfolgende Wirbeltiere und Insekten sein. Bisher haben sich dort Hornissen, Bilche und in deren Gefolge der Marder eingestellt, Fledermäuse werden folgen, eventuell auch kleine Eulen. Durch die dicke Strohballenisolation ist die Aktivität der Tiere nicht zu hören. Elektrokabel verlege ich zum Schutz gegen Verbiss in Metallrohren.

Die Außenwände des Hauses habe ich mit kleinen und kleinsten Höhlen ­sowie Nischen versehen, vergleichbar einem großen Insektenhotel, dessen »Zimmerservice« gerne angenommen wird. Um das Haus herum gibt es vielfältige »Ausgleichsmaßnahmen«: Wasserflächen und Unterwasserhöhlen, Trockensteinmauern, Brennholzstapel, Bäume und Sträucher, Nistmöglichkeiten, Erdhöhlen, Lesesteinhaufen, Totholzhaufen, Wildobsthecken.

Seit Mitte 2015 ist das Haus keine Baustelle mehr, sondern ein Heim. Zwar bewohnen wir es aus beruflichen Gründen bisher nur an den Wochenenden, doch die Tage dieses Umstands sind gezählt. Eines können wir jetzt schon sagen: Es wohnt sich gut ­darin, das Raumangebot ist sparsam, gibt aber dennoch das Gefühl von Großzügigkeit. Die Oberflächen fassen sich angenehm an, warm im Winter und kühlend im Sommer. Die vielen Lehmwände haben einen erdigen Charakter, zugleich flutet reichlich Licht durch die Südfenster. Die Flächen aus geschliffenem Palettenholz und recycelten Travertinplatten bringen viel Lebendigkeit in den Bau. Ich bin sehr gern in diesem Haus. Ich spreche mit ihm.


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Zur Person: Harald Wedig (60) ist Landschaftsgärtner, Sozial­arbeiter und Permakulturdesigner sowie Waldgarten- und Strohballenbaupionier. Kern seines im Aufbau begriffenen Permakultur-Projekts »Folxgarden« ist sein solar geheiztes Strohballenhaus.

Grundlagenwerke zur Vertiefung: Christopher Alexander: Eine Mustersprache. Städte – ­Gebäude – Konstruktionen. Löcker, 2011
Gernot Minke, ­Benjamin Krick: Der Strohballenbau. Ökobuch, 2011

Der Artikel ist zuerst erschienen in der oya-Ausgabe 32 mit dem Schwerpunkthema Hausbau mit Holz, Lehm und Stroh. Hier Probeheft bestellen.




Quelle und Dank an:  www.newslichter.de

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