Deutschland verschläft Revolution
Die Menschheit konsumiert, als gäbe es kein Morgen. Energie gibt es scheinbar im Überfluss. Die Endlichkeit der Ressourcen wird verdrängt, die Lösungswege sind meist holperig und oft nicht zielführend. Das Konzept "Cradle to Cradle" könnte die nächste industrielle Revolution auslösen, doch Deutschland tut sich schwer damit. Warum nur?"Abfall ist nichts anderes als Nahrung", sagt Michael Braungart, Professor für Verfahrenstechnik. Das Magazin "Time" krönte ihn schon vor fünf Jahren zum "Helden der Umwelt", Steven Spielberg interessiert sich für seine Geschichte als Stoff für die Leinwand. In seiner Heimat dagegen wird Braungart kaum wahrgenommen.
Weil die Deutschen in dieser Frage eher konservativ denken, findet Braungarts Revolution bei ihren Nachbarn statt, in den Niederlanden und in Belgien. "Den Holländern braucht man nichts vorzumachen", erklärt der Visionär. Sie seien nicht so verklärt wie die Deutschen, hätten nicht so einen romantischen Blick auf die schöne heile Welt. Und mit einem verschmitzten Lächeln setzt er hinzu: "Erzählen Sie den Holländern mal was von der Liebe von Mutter Erde zu ihren Kindern. Wenn die nicht jeden Tag auf der Hut sind, lässt sie Mutter Erde einfach absaufen. Sie sind also gewarnt und haben ein wachsames Auge auf die Natur."
Heißt das Konzept also, man nehme ein unsentimentales Völkchen und stelle gemeinsam mit ihm die geschundene Welt vom Kopf auf die Füße? Fast, mein Braungart, denn zunächst habe er sein Konzept über die USA nach Europa reimportieren müssen. Wäre es direkt aus Deutschland gekommen, hätten auch die Nachbarn abwehrend die Hände gehoben. Zu viele Vorurteile. Zudem passe "Cradle to Cradle", kurz C2C, auch gar nicht zum deutschen Temperament. Hier in Deutschland werde immer alles zu Ende gedacht, werde der Weg von der "Geburt bis zum Tod des Produkts" genauestens ersonnen und auch so vollzogen. Daher passe zu Deutschland eher das Konzept "Cradle to Grave" (von der Wiege ins Grab).
Rohstoffe erhalten statt vernichten
Auch wegen dieser Müllverbrennung sei man in Deutschland wenig empfänglich für die "Cradle to Cradle"-Prinzipien. "Die Deutschen setzen auf Müllvermeidung - was ja prinzipiell nicht schlecht ist. Sie rufen auf zum weniger Autofahren - auch gut. Sie rufen auf zur Sparsamkeit und sind besessen von Produkten mit einem Grünen Punkt." Das seien alles Fragen der Moral, Umweltverhalten würde somit zu einer Gewissensfrage.
Eine Welt ohne Müll
Der
Grüne Punkt soll
den Menschen hierzulande das Mülltrennen und -vermeiden erleichtern.
Für den Chemiker Braungart ist das alles "Humbug". In Wirklichkeit lasse
sich der Müll nicht sortenrein trennen. "Die gelblichen Kartoffel- oder
Zwiebelsäckchen enthalten das hochgiftige Bleichromat und landen ebenso
im gelben Sack wie der Joghurtbecher mit Aluminiumdeckel und der
Tetrapack mit Alu-Innen- und Plastik-Außenbeschichtung." Schon diese
drei Verpackungen würden sich nicht sortenrein trennen lassen. "Das wird
alles verbrannt, genauso wie der restliche Hausmüll. Über den Grünen
Punkt zahlt der Konsument für die Entsorgung. Hersteller wie Müllwerker
sind fein raus. Am Ende kassieren die Kommunen oder andere Unternehmen
vom Verkauf der in den Verbrennungsanlagen entstandenen Energie."Schuld daran sei die Überkapazität der Verbrennungsanlagen. "Deutschland ist das einzige Land weltweit, das 20 Millionen Tonnen Abfall jährlich importiert. Das ist ein riesiges Geschäft - aufgebaut mit Steuer-Milliarden", klagt Braungart. Die Verbrennung, eigentlich "energetische Verwertung", darf "Verwertung" heißen, weil Energie entsteht. "Diese Verwertung täuscht Recycling vor, ist aber keins. Fast zwei Drittel der Verwertung in Deutschland wird auf diese Weise erzielt."
Moral ist fehl am Platz
Kreislaufwirtschaft sieht also anders aus. Was schlägt Braungart vor, was könnte die Lösung für die Misere sein? Die einfachste und klarste Antwort würde heißen: den Müll abschaffen. "Ein Produkt, das am Ende seiner Lebenszeit zu Abfall wird, hat ein Qualitätsproblem. Auch ein Produkt, das mit Kinderarbeit verbunden ist, hat ein Qualitätsproblem. Und ein Produkt, das absichtlich auf Verschleiß konstruiert wird, ist, wenn das dem Kunden nicht mitgeteilt wird, einfach Betrug. Das lehrt: Wann immer es wichtig wird, wollen die Menschen von Moral nichts mehr wissen. Deshalb mein Rat: Vergessen Sie Moral und setzen Sie einzig und allein auf Qualität, Schönheit und Innovation."Tatsächlich ist das Modell der echten Kreislaufwirtschaft bereits in vielen Ländern der Erde erkannt worden und wird dort sehr erfolgreich praktiziert. "Die neuen Produkte, die nach dem C2C-Prinzip hergestellt werden, bereiten den Menschen kein schlechtes Gewissen mehr", so Braungart. In den Niederlanden gebe es zum Beispiel einen Hersteller, dessen Teppichboden die Luft reinigt, statt sie zu belasten. Den würden die Menschen ohne schlechtes Gewissen kaufen. Konsum mache wieder Spaß, Verzicht müsse nicht sein, wenn er mit nachhaltigem Umweltschutz verbunden sei. Inzwischen seien über Tausend Produkte auf dem Markt, die nach diesem Prinzip konstruiert worden seien.
Wer umsteigt, gewinnt
Gerade Produkte für Babys und Kinder sind oft voller Chemiegifte. Statt tatsächlich neue Wege zu gehen, verstricke sich die Politik - so Braungart - in einer Art Schuld-Management. So verbiete die Europäische Union beispielsweise statt bislang 39 Chemikalien in Kinderspielzeug 64 Chemikalien. "Das klingt zunächst gut, aber es reicht nicht. In manchen Spielsachen stecken über 600 umwelt- und gesundheitsschädliche Chemikalien." Nun geht, erzählt Braungart, ein chinesischer Hersteller von Babyprodukten mit gutem Beispiel voran: Kinderwagen, Autositze, Hochstühle und Bettgestelle stelle er schon heute nach dem C2C-Prinzip her. Alle Materialien, ob Stoffe, Plastik, Metall oder Holz, seien entweder kompostierbar oder lassen sich gegen eine Gutschrift zurückgeben und wieder recyceln. Bis 2020 wolle sich das riesige Unternehmen komplett auf die neue Produktion umstellen. Seine Artikel seien ein Renner auf dem Markt, das Unternehmen habe davon eindeutig profitiert.Auch herkömmliche Kleidungsstücke würden laut Braungart wie "Chemiebomben" wirken und dürften eigentlich gar nicht auf der ungeschützten Haut getragen werden. Die Textilien eines deutschen Herstellers seien hingegen menschen- und umweltfreundlich. Sie würden hierzulande produziert und seien auch noch "sehr hübsch anzusehen". Die Bekleidung hinterlasse keine Spuren, weil sie vollständig kompostierbar sei. Ihr Garn, die Biobaumwolle und die Textilfarbe würden von Pilzen und Bakterien abgebaut.
Ähnlich verhält es sich mit dem Bürostuhl einer US-Firma. Er lasse sich in wenigen Minuten komplett zerlegen und sei nahezu vollständig recycelbar. Im Gegensatz zu herkömmlichen Büromöbeln dünste er keine Schadstoffe aus. Das Internet ist voll mit Hinweisen auf Firmen, die nach dem C2C-Prinzip produzieren.
Seinen Erfolg in den USA hat Braungart sicher auch der Zusammenarbeit mit dem Architekten William McDonough zu verdanken. Der US-Amerikaner übersetzte Braungarts Ideen in die Gebäudeplanung. Seitdem veröffentlichten sie zusammen mehrere Bücher, eröffneten Büros in zahlreichen Ländern der Welt und überzeugten Firmen - darunter Nike und Puma - von der Philosophie, dass Abfall nichts anderes als Nahrung bedeutet.
Obwohl Braungarts Heimatland eher als Spätstarter in Sachen "Cradle to Cradle" unterwegs ist, tut sich auch in Deutschland einiges: Erfolgreich sei man etwa bei der Entwicklung von Farbstoffen für Textilien oder bei Toilettenpapier, das beim Recycling ohne Gift auskommt. "Der Anfang ist gemacht", meint der Visionär. Er setzt darauf, dass Deutschland ganz vorn in der Reihe der Macher stehen kann - wenn es erst einmal verstanden hat.
Eine Welt ohne Müll
Quelle und Dank an: http://www.n-tv.de
sieh an, sieh an............ ;-)
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